30 Jahre Sierra Madre
Zwischen Westfalen und dem mexikanischen Hochland
Es ist schon eine stattliche Ära – 30 Jahre aktiv und erfolgreich in der Spirituosen-Szene, im Gastronomie-Handel. Das Unternehmen Sierra Madre aus Hagen feiert in diesen Tagen die drei Dekaden. Gemeinsam mit dem Gründer und Geschäftsführer Guido Klaumann werfen wir einen Blick zurück. Und nach vorn. Von DRINKS-Autor Peter Eichhorn.
Zahlreiche spannende Geschichten beginnen mit einem Zufall. Andere Geschichten beginnen in einer Kneipe. Die Geschichte von Sierra Madre verweist auf beides. So trifft Guido Klaumann Mitte der 1990-iger-Jahre in einer Hagener Kneipe auf den Betreiber eines mexikanischen Imbissstandes in der Hagener Markthalle, Jürgen Stroschein. Tragischerweise war jener Imbiss gerade abgebrannt. Aus der Begegnung entsteht die Idee, einen gemeinsamen Handel mit mexikanischen Erzeugnissen ins Leben zu rufen. Klaumann erinnert sich: „Damals war mexikanische Gastronomie gerade sehr im Trend. Neben Tacos und Fajitas gab es meist noch ein Cocktailangebot und heitere Schwingungen rings um Margarita, Sol und Pacifico Bier. Wir haben in einer alten Scheune angefangen und den Schweinestall als Büro umgebaut und im Winter mit Gas beheizt. Gegründet im Jahr 1994 brachten wir die Waren dann ab 1995 in einem Pkw zu den Kunden.“
Zunächst war das Sortiment demnach auf Lebensmittel ausgerichtet. Doch was wäre ein mexikanisches Gastro-Konzept ohne Tequila? Klaumann berichtet, wie es dazu kam: „Ein wichtiger Bestandteil unseres Sortiments waren die Konserven und Dips von La Costeña. Das war unser erstes Distributeur-Produkt, ohne dass wir offiziell dazu berufen worden wären. Unser Vertriebs-Radius lag nur so um die 120 Kilometer. Dennoch lud uns La Costeña zu einem Besuch nach Mexiko ein. Dort haben wir viel Margaritas und Tequila getrunken und beschlossen, auch Tequila ins Sortiment aufzunehmen und zu importieren.“
Die Tequila-Spezialisten genehmigen sich einen Rum
Ende der Nullerjahre war es dann soweit: „Wir verfügten über ein stattliches Tequila-Sortiment. Über 30 Marken mit mehr als 100 Erzeugnissen. Unsere Mitarbeiterin Sonja Erler war eine der ersten echten Tequila-Expertinnen und konnte landesweit schulen und beraten. Noch heute kennt die Barszene sie als ‚Tequila-Sonja‘ und Sierra Madre wurde als Tequila-Spezialist bekannt.“ Doch der Trend zu mexikanischen Agaven-Destillaten entwickelte sich damals nicht ganz so konsequent wie erhofft. Bis heute hat Tequila zuweilen das Problem, dass viele Menschen hierzulande sich an jugendliche Trinkrituale mit anschließenden bösen Kopfschmerzen erinnern, und Mezcal führte ein Schattendasein als ‚Bartenders Darling‘ in den Cocktail-Metropolen, erreichte aber längst noch keine breite Öffentlichkeit. „Wir haben dann eben angefangen, auch andere Getränke-Kategorien in das Sortiment aufzunehmen“. Daraus entwickelte sich so manche wegweisende Erfolgsgeschichte. Klaumann schildert die Entwicklung: „Es war 2011 und Rum war auf dem Weg zur neuen Trendspirituose. Dirk Becker hatte in Berlin gerade sein Rumfest in Schwung gebracht und brachte uns mit einer spannenden Rum-Marke namens Diplomatico aus Venezuela zusammen.“
An dieser Stelle sei eine kurze, dezent kopfschüttelnde Rückschau gewagt: In der Tat begann damals ein neuer Blick auf Rum, angeführt von Marken, wie Diplomatico, Zacapa oder Pyrat. Es entdeckte eine wachsende
Zahl von Gourmets, dass Rum mehr sein konnte als nur eine Zutat in Cocktails wie Mojito, Cuba Libre und Mai Tai. Insbesondere Diplomatico gewann seinerzeit viele begeisterte Anhänger. Und einen grimmigen Skeptiker. Die Discounter-Kette Aldi bemühte ihre Juristen, um Diplomatico den Namen zu rauben. Allzu groß wähnte man die Verwechslungsgefahr mit der hauseigenen Weinbrand-Marke Diplomat. Dem Verbraucher wurde anscheinend kein angemessenes Unterscheidungsvermögen zugetraut. So ist jene Marke, welche die Welt als Diplomatico kennt und schätzt, in Deutschland unter dem Namen ‚Botucal‘ bekannt und unter diesem Namen kam das Zuckerrohrdestillat dann auch für Sierra Madre ins Sortiment.
Im Mittelpunkt: ein tadelloses Team
Eine neue Ära beginnt für Sierra Madre. Das Unternehmen entwickelt sich mit wachsendem Anspruch in die Getränkewelt hinein. Die Jahre 2013 und 2014 waren voller wichtiger Weichenstellungen, wie sich Klaumann erinnert: „Jürgen Stroschein zog sich aus dem Unternehmen zurück, dafür stiegen Timo Fischer und Marcus da Costa in die Unternehmensleitung ein. Das war ein wichtiger Schritt. Wir hatten gerade einen optimistischen Schritt in den Eistee-Markt gewagt, der so gar nicht gelang. Damals war Stevia ein Riesenthema als natürlicher, kalorienfreier Zucker. Wir hatten Kontakt zu einem Stevia-Produzenten, der zugleich einen Eistee herausbrachte. Die anfängliche Begeisterung wandelte sich rasch in Ernüchterung. Der leicht lakritzige Geschmack von Stevia hat im Eistee gar nicht funktioniert und die Kombination aus Mate und Stevia ist auch gefloppt. Wir hatten vermutlich auch zu wenig Erfahrung im alkoholfreien, beziehungsweise im Eistee-Bereich. Da sagte ich mir: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Wenn man Rookie ist, holt man sich eben auch mal eine blutige Nase.“
Als kleiner Trost gesellte sich 2014 Don Papa zu dem Sierra Madre Sortiment hinzu. Das Team bewies erneut einen guten Riecher im Hinblick auf Rum. Rasch entwickelte sich die markante Marke von den Philippinen
zu einem viel beachteten Produkt. Die Entwicklungen im Markt führten 2023 dazu, dass durch Markenverkäufe Sierra Madre in kurzer Zeit Don Papa an Diageo und auch Botucal an Brown-Forman aus dem Sortiment entlassen musste. Ein nachdenklicher Guido Klaumann resümiert die Entwicklung: „Das ist schon ein Schockmoment. Zwei der wichtigsten Marken innerhalb von vier Monaten zu verlieren, macht nicht gerade gute Laune. Aber wir folgen der Philosophie abständiger hanseatischer Kaufleute. Wir haben immer sauber gehaushaltet und haben so alle Krisen gemeistert. Wenn man solide arbeitet, dann ruckelt es mal, aber es entgleist nicht gleich. Wir sind noch da, wir bleiben auch da.“ Spannende Neuzugänge, wie A.H. Riise, Finlandia Vodka oder Speyburn Whisky können zudem die Weggänge kompensieren. Dazu kommen Eigenentwicklungen, wie Enso Japanese Whisky und Remedy Spiced Rum.
Für Guido Klaumann bleibt es dabei: Der Mensch steht im Mittelpunkt: „Anständigkeit ist ein großes Thema. Dazu kommt eben die Begeisterung für das Tun. Ich habe Spaß an den Dingen. Ich habe Bock darauf und mit den richtigen Menschen zusammen macht es wirklich und dauerhaft Spaß. Wichtig ist natürlich auch, vernünftig mit den Mitarbeitern umzugehen. Dann bekommt man auch ein tolles und treues Team.“ Aktuell sind mehr als 60 Menschen für Sierra Madre tätig.
Die nächsten 30 Jahre
Klaumann wirft einen umsichtigen Blick auf die aktuellen Marktentwicklungen: „Es ist gerade schwierig mit Trends. Es herrscht derzeit eine gewisse Konsumflaute. Die Kauffreude ist abgeflacht. Alle sind gerade mit sich selbst beschäftigt. Aber ein Auf und Ab ist nichts Besonderes und schon gar nichts Neues. Man muss sich da gar nicht so darüber aufregen. Man muss gelassen bleiben. Aufregung sorgt nur für falsche Entscheidungen.“ Aktuell setzt man bei Sierra Madre auf den nächsten Produktstart. Zu Weihnachten soll der neue Traspers Rum aus Panama auf den Markt kommen. Mit ein wenig Verzögerung, da es Schwierigkeiten bei der Herstellung der Flaschen gegeben hatte. Und für 2025 sind noch ein bis zwei neue Eigenmarken in der Planung.
Und was ist mit Tequila? Klaumann schmunzelt: „Ich habe natürlich die aktuellen positiven Entwicklungen wahrgenommen. Wir beobachten das definitiv. Aber ich bin eben ein gebranntes Kind. Ich erinnere mich noch an Messen, da haben wir den Leuten Agavendestillat angeboten, um den Begriff ‚Tequila‘ zu vermeiden. Heute sieht man auch bei den Ketten, wie Sausalitos oder Enchiladas anspruchsvollen Premium-Tequila im Rückbuffet. Ich glaube, Tequila bleibt eine Nische, die aktuell Schritt für Schritt etwas größer wird. Eine ähnliche Entwicklung wie bei Gin sehe ich da aber nicht. Mit Corralejo, Aha Toro und San Cosme bleiben wir aber im Agaven-Bereich gut aufgestellt.“ Und so sinniert der Gründer und muss doch lächeln: „Wer hätte das gedacht. Vor 30 Jahren ging alles los in einer Scheune mit ein paar Sößchen und Tortillas.“
Es gilt für Sierra Madre weiterhin jenes Motto, das Guido Klaumann auch bis in die Haarspitzen ausstrahlt: für mehr Begeisterung!