Jakob Haberfeld
Wodka Geschichte in der Flasche
Wo heute in der Stadt Oświęcim das funktionale, schmucklose Backsteingebäude des Hotels Hampton by Hilton steht, befand sich einst das imposante Stadtpalais der Familie Haberfeld nebst Wodkabrennerei. Sie wurde von Jakob Haberfeld im Jahr 1804 als „Dampfwodka- und Likörfabrik“ gegründet und war damit eine der ersten Wodka-Brennereien in Polen.
Schon die altertümlich erscheinenden Bezeichnungen „Dampfwodka“ und „Likörfabrik“ deuten darauf hin, dass die Haberfelds stets auf Technologieführerschaft setzten und eine Produktion nach industriellen Maßstäben in einer „Fabrik“ früher ein Herausstellungsmerkmal war. Wann genau die Familie im 19. Jahrhundert – der Zeit der industriellen Revolution - Dampf- und Brennaggregate installierten, hat sich im Nebel der Geschichte verloren. Dass ihre Fabrik als einer der ersten Industriebetriebe Polens galt, ist dagegen unbestritten. Das Unternehmen entwickelte sich dynamisch, so dass es in den 1930er Jahren nicht nur ein wichtiger Arbeitgeber in Oświęcim war. Es zählte auch zu den größten Spirituosenherstellern des Landes. Sein umfangreiches Portfolio von etwa 40 Sorten verschiedener Wodkas, Liköre, Rums und Whiskys war in ganz Europa bekannt und beliebt.
Um den Export nach Amerika anzukurbeln, präsentierten Alfons und Felicia Haberfeld im Sommer 1939 ihre Produkte auf der Weltausstellung in New York, einer gigantischen Technologie- und Konsumgüterausstellung mit 44 Millionen Besuchern. Doch der Überfall von Nazi-Deutschland auf Polen ein paar Wochen später verhinderte die Rückkehr des Ehepaares nach Polen. Nicht nur das: Sie mussten aus der Ferne hilflos mitansehen, wie ihre Brennerei nach Ende des Krieges erst verstaatlicht, dann in eine Bier- und Limo-Abfüllerei umgewandelt wurde - und zusehends verfiel. Wegen Baufälligkeit wurden ihr Wohnhaus und die Fabrik vor 20 Jahren abgerissen. Das hätte das Ende der Geschichte und der Marke Jakob Haberfeld bedeuten können, hätten nicht ein paar Oświęcimer Hobbyhistoriker über Jahre hinweg eine private Sammlung von Originalflaschen, Etiketten, Firmenunterlagen, Plakaten und Reklametafeln zusammengetragen. Sie wurde an das 2019 neu eröffnete Jakob Haberfeld Story Vodka Museum in Oświęcim übergeben, das in besagtem Hampton by Hilton Hotel untergebracht ist. Dort kann man auch die Spirituosen unter dem Label Jakob Haberfeld in einer Bar genießen.
Dass die Spirituosenmarke überhaupt wiederbelebt werden konnte und zumindest im Rahmen eines Museums auch einen Bezug zu ihrem ursprünglichen Standort hat, ist dem Engagement einer gemeinnützigen polnischen Stiftung und lokalen Vereinen in Oświęcim zu verdanken. Während aber das Museum die Geschichte der Marke bewahrt, sind es die 2019 gelaunchten Spirituosen, die sie in die Jetztzeit tragen und „Geschichte in der Flasche“ erlebbar machen. Es gehört schon einiges an Mut dazu, eine neue Wodkamarke – und das ist Jakob Haberfeld aus Sicht der polnischen Millennials und Gen Zer – als Luxusmarke zu positionieren. Der Wodkakonsum in Polen fällt seit Jahren und die drastischen Alkoholsteuer-Erhöhungen in den kommenden vier Jahren werden ihn wahrscheinlich noch weiter drücken. Schon heute kostet eine 0,5 Liter Flasche des günstigsten Wodkas, Berichten zufolge, mehr als 11 Euro.
Zugegeben, auch in Polen ist der Trend zu handwerklich hergestellten Getränken, ob Bier oder Gin, längst angekommen. Doch die Herausforderungen bleiben: Craft ist erklärungsbedürftig, Craft ist viel teurer in der Herstellung und Craft ist eine Nische. Was die Jakob Haberfeld Spirituosen eindeutig als Craft auszeichnet, ist, dass sie „koscher“ zertifiziert sind. Selbst wenn die mehrheitlich katholischen Polen nicht die koscheren Speiseregeln befolgen, so assoziieren sie mit „koscher“ positive Attribute: höchste Qualität, Reinheit und Transparenz in der Produktion. In Anlehnung an die Tradition, unter Beibehaltung der Rezepturen und unter Wahrung des historischen Erbes werden die Wodkas und Liköre in der Manufaktur der ersten rein koscheren Spirituosenfabrik nach dem Zweiten Weltkrieg in Bielsko-Biała hergestellt und unterliegen daher einer ständigen Kontrolle.
Für die koscheren Alkohole werden nur beste Zutaten verwandt. Der Miodonka (Honigwodka) basiert auf vielblütigem Honig, die Liköre Wiśniówka (Kirschlikör) und Orzechówka (Walnusslikör) werden aus der Mazeration von vollreifen Kirschen bzw. grünen Walnüssen gewonnen. Der Czysta Wodka wird aus Kartoffeln, der Zgoda Wodka aus Roggen gebrannt. Die Positionierung als Craft Spirituose der Spitzenklasse ist also nicht nur Wortgeklingel. Die Produktion erfolgt buchstäblich in Handarbeit. Die Wodkas selbst werden einem mehrstufigen Rektifikationsprozess sowie einer fünf- bzw. siebenfachen Filtration durch Aktivkohlefilter unterzogen. Das verwendete Wasser stammt aus Quellen im Beskiden-Gebirge mit nahezu unberührter Natur. Ungeachtet der hohen Besteuerung liegt der Alkoholgehalt deutlich über den üblichen 38%vol. bis 40%vol. – ideal für aromareiche Cocktails.
Wie im Craft Segment üblich, wurde auch die Jakob Haberfeld Range im Jahr 2021 um drei streng limitierte Spezialitäten erweitert: Jakob Haberfeld Limited Miodonka (40%vol.), Jakob Haberfeld Limited Wiśniówka (30% vol.), und Jakob Haberfeld Limited Loverose (35%vol.), einem Rosenlikör. In Kürze folgt eine Limited Edition von barrel-aged Wodkas (siehe Photo). In Polen gelten die Jakob Haberfeld Spirituosen noch als Geheimtipp. Sie sind bisher nur in Bars, Restaurants und im Fachhandel/Fachgroßhandel vertreten: eben dort, wo man bevorzugt Produkte offeriert, die sich klar von der Masse
abheben, und man gewillt ist, Kunden beim Kauf solcher Spezialitäten zu beraten.
Ina Verstl