Brennerei Humbel
Wenn vier Generationen (für etwas) brennen

Wer im Frühling die Grossstadt hinter sich lässt und entlang des Reusstals fährt, erlebt ein Naturschauspiel, das zum Innehalten einlädt. Unzählige hochstämmige Obstbäume explodieren in ihrer Blütenpracht und tauchen den Aargau in sanftes Weiss und zartes Rosa. Diese Landschaft erzählt von Jahrhunderten sorgfältiger Pflege und landwirtschaftlicher Tradition. Mittendrin liegt das Dorf Stetten – erkennbar am markanten Hochkamin, einem Zeitzeugen einer längst vergangenen Epoche. Einst Symbol industriellen Aufschwungs, heute Heimat für Störche und Wahrzeichen eines aussergewöhnlichen Familienunternehmens. Von Patrick Braun & Ina Wittmann.
Es riecht nach reifen Kirschen, als Max Humbel die Brennblase anheizt. Wir befinden uns im Jahr 1918 in der kleinen Gemeinde Stetten. Hier beginnt die Geschichte. Vor allem damals, kurz nach dem Ersten Weltkrieg, sind edle Brände nicht einfach nur Genussmittel – sie sind ein Stück gelebte Tradition und ein Handwerk, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Max Humbel hat ein Gespür für Qualität. Ihm ist bewusst, dass ein guter Schnaps mehr ist als nur Alkohol – sondern Ausdruck des Bodens, der Früchte und der Zeit, die man sich für ihn nimmt. So beginnt er, mit viel Sorgfalt und Geduld, die besten Kirschen der Region zu brennen. Was als kleine Dorfmosterei beginnt, sollte mit den Jahren zu einer der angesehensten Brennereien der Schweiz heranwachsen.
Der Mut zur Veränderung
Drei Generationen später steht sein Enkel Lorenz Humbel an genau derselben Stelle – die Brennerei seines Grossvaters hat sich mittlerweile zu weitaus mehr als einem kleinen Familienbetrieb entwickelt. Der Weg dorthin war nicht immer einfach. In den 1990er-Jahren geriet die Schweizer Spirituosenbranche durch die Marktliberalisierung ins Wanken; viele traditionelle Brennereien mussten aufgeben. Doch Humbel erkannte die Chance in der Krise. Statt dem Preisdruck nachzugeben, schlug er einen neuen Weg ein und entschied sich für ein Konzept, das seiner Zeit voraus war: er setzte auf sortenreine Premiumprodukte. Der entscheidende Wendepunkt in der Firmengeschichte folgte dann 1995, als Humbel auf Bio-Produktion umstellte – zu einer Zeit, als Nachhaltigkeit noch kein grosses Thema war. Wer brauchte schon Bio-Schnaps? Anfangs belächelt war Lorenz Humbel davon überzeugt, dass die Qualität einer Spirituose auch in der Herkunft ihrer Rohstoffe liegt. Er suchte gezielt nach Obstbauern, die ohne chemische Spritzmittel arbeiteten, die ihre Bäume mit Sorgfalt pflegten und die wussten, dass eine Frucht Zeit braucht, um ihr volles Aroma zu entfalten. Heute bezieht die Brennerei ihre Rohstoffe ausschliesslich von Schweizer Bauern mit „Hochstamm Suisse-“ und „Bio Suisse“-Zertifizierung – ein Beitrag zum Erhalt traditioneller Obstgärten und alter Kirschsorten, die zunehmend verschwinden.
Auch in die moderne Barkultur ist dem Familienunternehmen wichtig. Mit der Einführung der „eXtra Schnaps“-Linie, darunter der XK – eXtra Kirsch, XB – eXtra Birne und XT – eXtra Traube, richtet sich Humbel gezielt an Barkeeper, um Obstbrände wieder verstärkt in Cocktails zu integrieren. Im Jahr 2017 initiierte die Brennerei die „Humbel-Stork-Trophy“, einen Cocktail-Wettbewerb, der Bartender aus Deutschland und der Schweiz dazu einlädt, innovative Kreationen mit Bränden von Humbel zu entwickeln. Die Veranstaltung ist nicht nur Plattform für kreative Mixologen, sondern stärkt auch die Verbindung zwischen traditioneller Brennkunst und zeitgenössischer Mixologie.
Tradition trifft auf Experimentierfreude
Humbel ist tief in die Schweizer Brennkultur verwurzelt. Wer jedoch glaubt, dass hier nur klassischer Kirschbrand produziert wird, täuscht sich. Neben den traditionellen Obstbränden entstehen in Stetten auch innovative Spirituosen wie Bio-Gin mit alpinen Botanicals oder Schweizer Rum aus regionaler Zuckerrohrmelasse. Auch kreative Neuinterpretationen bereichern das Sortiment – so etwa der charaktervolle „Glenreuss Bio-Whisky“ oder „Swodka“, ein edler Wodka aus Schweizer Bio-Zuckerrüben. Die Philosophie bleibt dabei immer dieselbe: ehrliche Handwerkskunst, beste Rohstoffe und kompromisslose Qualität. In den kupfernen Brennblasen geschieht nichts zufällig. Jeder Brand wird mit grösster Sorgfalt destilliert, um die Essenz der Früchte einzufangen.
Heute steht Humbel für mehr als nur edle Brände. Es ist eine Marke, die beweist, dass Tradition und Innovation keine Gegensätze sind. Dass man mit jahrhundertealter Handwerkskunst immer noch neue Wege gehen kann. Und dass ein guter Schnaps nicht einfach nur schmeckt – sondern eine Geschichte erzählt. Diese Gedanken tragen
auch Luis und Gloria Humbel weiter, die als vierte Generation in das Familienunternehmen hineinwachsen. Mit Erfahrungen aus der Brennerei- und Gastronomiebranche bringen sie neue Impulse ein, ohne den handwerklichen Wurzeln den Rücken zu kehren. Die Spezialitätenbrennerei im Aargau bleibt damit fest in der Region verankert und entwickelt sich kontinuierlich weiter – eine Voraussetzung, um in der schnelllebigen Welt der Spirituosen erfolgreich zu bleiben.
