Appenzeller Alpenbitter: Schweizer Kräuterlikör-Tradition
Das Geheimnis der 42 Kräuter
Im Appenzellerland, im Nordosten der Schweiz, haben Geschichte und Gegenwart eine enge Verbindung. Zwischen sanften Hügeln, schroffen Felsen und lebendigen Traditionen wird hier vieles bewahrt, was andernorts längst verschwunden ist: alte Handwerkskunst, überlieferte Bräuche – und ein ganz besonderes Geheimnis. Es ist ein Rezept, verwahrt hinter verschlossenen Türen. Nur zwei Menschen auf der Welt ist es bekannt: Es ist die Rezeptur des Appenzeller Alpenbitters, der 42 Kräuter, Gewürze, Blüten und Wurzeln in sich trägt. Dieses Geheimnis ist die Seele einer Geschichte, die vor bald 125 Jahren ihren Anfang nahm.
Um 1900 erwachte ein neues Bewusstsein für die Heilkraft der Natur. In den Apotheken standen die ersten synthetischen Arzneien gleichberechtigt neben Kräuterextrakten und Tinkturen. Altes Wissen fand neues Vertrauen. Im Jahr 1902 wagte ein junger Mann namens Emil Ebneter einen mutigen Schritt. Mit gerade einmal 20 Jahren eröffnete er seine erste Spirituosenhandlung in der «Konzerthalle» in Appenzell. Ab 1915 wurde an der Weissbadstrasse produziert – dort, wo heute noch das Herz des Unternehmens schlägt. Die Kräuter seiner Heimat waren für ihn mehr als nur Heilpflanzen oder Küchenzutaten: Er erkannte das Potenzial des jahrhundertealten Kräuterwissens und war entschlossen, daraus etwas Neues zu schaffen.
Zusammen mit seinem Schwager Beat Kölbener gründete Emil Ebneter die Firma Emil Ebneter & Co. AG, die später zur heutigen Appenzeller Alpenbitter AG werden sollte, und unternahm erste Versuche mit Kräuterdestillaten. Sie wussten um die Geheimnisse der umliegenden Klostergärten, in denen Klosterfrauen seit Jahrhunderten das Wissen um die Pflanzenheilkraft hüteten – und sie verstanden es, das überlieferte Wissen mit modernen Destillationstechniken zu verbinden.
Das Herzstück der Herstellung
Bis heute ist nur zwei Menschen das vollständige Rezept bekannt: Die beiden Geheimnisträger der Familie sind Walter Regli und Beat Kölbener. In der Kräuterkammer der Appenzeller Alpenbitter AG, einem Raum, der für alle anderen verschlossen bleibt, erstellen sie die exakten Mischungen. Der Appenzeller Alpenbitter wird ausschliesslich aus natürlichen Zutaten hergestellt. Wo möglich, bezieht das Familienunternehmen die Ingredienzen dafür aus der Region. Seit 2014 bauen sieben Bauernfamilien aus Appenzell und Umgebung Kräuter für das Traditionsunternehmen an, darunter Zitronenmelisse, Lavendel, Kamille, Pfefferminze, Majoran und Wermutkraut. Ein Teil des benötigten Gelben Enzians, ebenfalls eine Zutat des Appenzeller Alpenbitters, wird auch auf dem Firmengelände angebaut.
Die Herstellung des Appenzeller Alpenbitters folgt einem aufwendigen Verfahren, das aus mehreren Stufen besteht – die Mazerationen können Wochen oder sogar Monate dauern, bis die Alkoholbasis die gewünschten Aromastoffe vollständig aufgenommen hat.
Wie aus Wurzeln neue Wege entstehen
Als 2020 mit Pascal Loepfe-Brügger wieder ein Mitglied der Gründerfamilie die Leitung übernimmt, ist es mehr als nur ein Generationenwechsel. Es ist ein Schritt nach vorn, der Bewährtes wahrt und viel Raum für Neues lässt. Das Thema Nachhaltigkeit rückt noch stärker in den Vordergrund. Das Unternehmen arbeitet bevorzugt mit lokalen Lieferanten zusammen und achtet dabei auf nachhaltige Anbaumethoden. Es ist ein Wandel – getragen von der Idee, das Unternehmen zukunftsfähig zu machen, ohne seine Wurzeln zu verlieren.
Auch sein traditionelles Kräuterwissen übersetzt das Unternehmen in ein modernes Getränkekonzept: Während das Originalrezept des Appenzeller Alpenbitters unangetastet bleibt, haben innovative Produkte wie der GIN 27 ORIGINAL Appenzell Dry Gin, der GIN 27 SOUL OF WOOD oder der Amarno – Amaro Alpino ihren Platz im Sortiment gefunden. Die Abbacella-Serie oder Kuuhl Minz ergänzen die Produktwelt.
Von Appenzell in die Welt
Neue Ideen entstehen heute auch in der Zusammenarbeit mit der Bartender-Szene. Das Unternehmen unterstützt die Wettbewerbe und arbeitet eng mit Barkeepern zusammen, um neue Anwendungsmöglichkeiten für seine Produkte zu entwickeln. Dass dieser Ansatz Wirkung zeigt, beweist ein Blick auf die internationale Resonanz. Beim World-Spirits Award 2025 wurde der Appenzeller Alpenbitter mit «Double-Gold» ausgezeichnet und als «Spirit of the Year» prämiert. Auch die neueren Produkte überzeugten: Der GIN 27 ORIGINAL und der Amarno – Amaro Alpino, Kuuhl Minz und Abbacella Apéritif Orange erhielten jeweils Goldmedaillen. Die Erfolge zeigen nicht nur ein Gespür für zeitgemässe Entwicklungen. Es zeigt, dass sich die Appenzeller Alpenbitter AG nicht zwischen Tradition und Innovation entscheiden muss.