Südamerika & Karibik

Jung, frisch, klar und innovativ gereift

Cachaça, Rum und Tequila sind die großen Spirituosen Südamerikas, die vordergründig nicht verschiedener sein könnten. Gar Kontinente und Nationen trennen sie voneinander. Doch aus der Süße heraus entwickelten sie ihr Profil. Annährungen an den Spirit Lateinamerikas.

 

Mittel- und Südamerika ist die Heimat der – wer hätte es gedacht – Leidenschaft wie der puren Süße. Denn als die Festländer und Inseln des Kontinents einst von Portugal und Spanien und schließlich über die Karibik auch vom Rest der Welt erobert wurden, war auf den Landungsschiffen immer auch das Zuckerrohr an Bord. Derart und mit neuer Destillationstechnik ausgestattet, erwuchsen Brasilien und die Karibik zu stolzen Spirituosennationen mit einem süßen, trocken-fruchtigen Zungenschlag, der heute weltweit und in großer Menge als Cachaça und Rum auf den Markt gelangt. In Mexiko hingegen konnte sich dank der spanischen Einflüsse der traditionelle Mezcal auf Basis des Honigweins aus der Agave zum Tequila weiterveredeln und fortan die Welt als indigenes Herkunftsprodukt erobern. Gemein ist den lateinamerikanische Spirituosen dabei, dass sie sich eng umschlungen der Süße entlang zu jungen, frischen, klaren und innovativ gereiften Qualitäten entwickelten.

 

Brasilianische Lebenslust im veredelten Zuckerwein

Brasilien ist die Heimat leidenschaftlicher Menschen; des Karnevals mit Samba, Bossa Nova und Forro sowie des Fußballs, der hier zur Kür geführt wurde. Möglicherweise Schuld daran: der Cachaça. Denn als die portugiesischen Seefahrer einst hier an Land kamen, bringen sie auch das Zuckerrohr mit. Angebaut in den küstennahen Regionen, erwächst es zur prächtigen und goldwerten Einnahmequelle. Klar, dass aus dem vergorenen Zuckerrohrsaft 1533 auch erstmals seine destillierte Variante als Cachaça – heute qua Definition nur aus reinem Zuckerrohrsaft – entsteht. Das neue, fruchtig-trockene Zuckersaftdestillat ist dermaßen erfolgreich, dass es zum Konkurrenten gegenüber dem Portwein erwächst und sich über die folgenden Jahrhunderte erst seinen Platz als neue Nationalspirituose erkämpfen muss. Seinen großen Triumph feiert er vor allem im 20. Jahrhundert.

 

Bereits 1909 wurde Velho Barreiro gegründet. Damals noch in Handarbeit produziert, erwuchs er später zu einem der Top Player Brasiliens in der groß angelegten Produktion. So erfährt Cachaça in den 1950er Jahren mit der industriellen Massenproduktion durch das moderne, kontinuierliche Destillationsverfahren eine neue Dimension mit São Paulo als einem der Produktionszentren. Auch Guilherme Müller Filho, ein Brasilianer deutscher Herkunft, beginnt 1959 hier mit der Produktion seines Cachaça 51 in Pirassununga im Herzen der größten Zuckerrohrplantagen des Bundesstaats. Er sollte mit seiner Müller Company so erfolgreich werden, dass er ihn seit den 1990er Jahren international als „The Brazilian Original” vertreibt – ein deutsch-brasilianisches Erfolgsprodukt schlechthin. Müller Filho war somit einer jener Vorreiter, welche Cachaça erst zu einer der heute weltweit meistgetrunkenen Spirituosen machten.

 

Zu uns sollte Cachaça seinen Weg hingegen ab den 1970er Jahren finden. Es war Pitú, der, bereits seit 1938 im Nordosten Brasiliens hergestellt, namentlich auf die populäre, einheimische Süßwasserkrabbe Brasiliens verweist, 1972 dank der Anton Riemerschmid Unternehmensgruppe zu uns kam. Zeitgleich begannen die Brüder Vicente und Roberto Bastos Ribeiro, Nachfahren italienischer Einwanderer, Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Produktion ihres CanaRio im Bundesstaat Estado do Rio auf der 1827 gegründeten Fazenda Soledade. Noch heute destilliert man hier traditionell zweifach in den zwei größten Pot Stills Brasiliens. Bereits seit 1906 produziert zudem die Familienbrennerei Thomas de Aquino ihren Thoquino im Bundesstaat Rio de Janeiro auf eigenen Zuckerrohrplantagen – eine Seltenheit, die seit 1989 auch bei uns erhältlich ist. Dank dieser Vorreitermarken erwuchs Cachaça bei uns bis in die 1990er Jahre hinein vor allem im berühmten Shortdrink Caipirinha oder in der Batida zum Kassenschlager. Natürlich darf er an keiner Beach Bar fehlen. Auf den hiesigen Bühnen der ambitionierten Bars hingegen war es lange still um ihn.

 

Doch diese Zeiten sind vorbei. Denn das leichte, duftende und trocken-fruchtige Zuckerrohrdestillat dient sich uns heute in vielen, jungen, frischen, klaren und gereiften Qualitäten an. Neue Marken sorgen zudem für einen authentischen Charakter. Darunter findet sich der 2004 begründete und in Deutschland seit 2006 erhältliche Sagatiba, der im Multidestillationsverfahren zur Finesse geführt wird. Oder auch der 2005 in Zusammenarbeit mit dem Brennmeister Gilles Merlet aus Cognac in Frankreich entwickelte Leblon. Destilliert in kleinen Alambique-Copper Pot Stills aus Zuckerrohr der eigenen Felder, entwickelte er sich zu einem der populärsten Cachaças in New York, Miami, Chicago und Kalifornien. Es sind stylische Newcomer, die qualitativ überzeugen und einen starken Platz im Backboard der Bars wie in raffinierten Drinks verdienen – ohne gemeinhin abfällig als „brasilianischer Rum” abgefertigt zu werden.

 

Vom Aufruhr der Stile zu authentischen Rumdestillaten

Wo der Cachaça sich bereits früh eng definiert entwickeln durfte, spross der Rum zeitgleich weitaus vielfältiger, denn die Besitzansprüche der kolonisierenden Länder Spanien, England, Holland und Frankreich verteilten sich auf die vielen Inseln des karibischen Meers bis in ihre angrenzenden Länder von Guatemala bis Guyana hinein. In der Rumbullion – dem Aufruhr der Nationen – brachten sie nicht nur das Zuckerrohr mit, sondern auch ihre verschiedenen Destillationstechniken. Vom spanisch geprägten „Ron“ (u.a. Kuba) über den britischen „Navy Style Rum” (u.a. Jamaika) hin zur Linie der französisch geprägten „Rhum Agricole“ auf Basis von Zuckerrohrsaft (u.a. Haiti, Guadeloupe, Martinique) und dem „Rum Traditionelle“ (Melasse) entwickelten sich derart zahlreiche Stile und Qualitäten.

 

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