Italien und das Mittelmeer
Die Vielfalt des spirituellen Genusses
Wohl kaum eine Region Europas steht so sehr für den Ursprung des spirituellen Genusses wie die Welt des Mittelmeers. Nicht nur ist hier eine frühe Beschäftigung mit ihm verbürgt. Darüber hinaus entwickelte sie in ihren Anrainerstaaten über die Zeiten hinweg ganz eigene Ausprägungen. Ein Einblick in die vielfältige Genusswelt des Mittelmeers.
Die Welt des Mittelmeeres“ – so lautet der Titel eines großen Klassikers zu dieser Region aus der französischen Geschichtswissenschaft, genauer der Annales-Schule, der neben Fernand Braudel auch Marc Bloch und Lucien Febvre angehörten. Zusammengefasst verweisen seine Autoren darauf, dass der Mittelmeerraum schon immer ein Zusammenfließen der Kulturen aus allen Himmelsrichtungen begünstigte. So verflochten sich hier Tausende Jahre von Geschichte aus aller Herren Länder in Kultur, Architektur und Genuss zu einem großen Ganzen. Ebenso wird der Mittelmeerraum auch als „Wiege Europas“ bezeichnet, nahm das Abendland – und damit aus unserer Sicht v. a. das westliche Europa – doch seinen Ausgang von hier. Die aktuelle „Flüchtlingskrise“ ist dabei zwar ein akutes und in mehrfacher Hinsicht zerrendes, aber ein doch schon immer für den Mittelmeerraum stehendes Bild, das im Großen für das Zusammenkommen vieler Kulturen steht – eben ein Potpourri der Kulturen.
Betrachtet man den Mittelmeerraum entlang der Grenzen seines Meeres, umfasst er heute ganze 16 Staaten, die an ihn grenzen. Es sind Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Ägypten, Israel, der Libanon, Syrien, die Türkei, Griechenland, Albanien, Slowenien, Kroatien, Italien, Frankreich und Spanien. In seinem Meer selbst finden sich zudem u. a. Zypern, Sardinien und Korsika. Ob dieser Vielfalt wird deutlich, wie bunt es um das Genusserbe dieser Region bestellt ist. Jedoch: Wo uns jene trinkbaren Traditionen Afrikas eher fremd sind und sich nicht im Großen bei uns etabliert haben, haben sich jene der nördlichen Hemisphäre umso mehr bei uns verankert. Denn verbürgt ist nicht nur die Wiege der Destillation im Bitteren v. a. in Italien. Hinzu kommen auch die Kunst der verstärkten Weine und Brände aus Trauben wie Portwein, Sherry, Brandy sowie die Destillation von Wacholder in Spanien. Zuletzt entwickelte man hier u. a. auch die ätherisch mit Anis geschwängerte Spirituose aus dem asiatischen Raum entlang des gesamten Mittelmeers und noch viele weitere Likörspezialitäten mehr. Amari und die Liköre Vor dem Hintergrund dieser Vielfalt ist eine der großen und frühen Grundlagen der Destillation vor allem für Griechenland und Italien verbürgt, wo sich früh die Techniken um die Mazeration und die Destillation von bitteren Kräutern und weiteren Gewürzen entwickelten. Allen voran entwickelten sich in Italien, nebst einer Liebe zu Pasta, Wein und Espresso, so die sogenannten „Amari“, welche sich in verschiedentlich gesüßten Formen als Halbbitter, Bitter oder als Fernet ausprägten und heute im ganzen Land bis in seinen Stiefel hinein produziert und genossen werden. Groß wurden dabei vor allem Marken wie Campari, Ramazzotti oder Fernet-Branca aus Mailand und der Lombardei, Aperol und Cynar aus Venedig und Venetien, Amaro Montenegro aus Bologna und der Emilia-Romagna, Galliano Autentico aus Livorno und der Toskana, Amaro Lucano aus Pisticci Scalo und Basilika sowie Averna aus Sizilien im Süden des Landes. Zur Gruppe der Amari gehört aber auch solch ein Klassiker wie der Amaretto Disaronno auf Basis von Aprikosenkernöl aus der Lombardei. Neben den Amari entwickelte sich zudem die Kunst um den Wermut, der sich vor allem im Flaggschiff Martini aus Turin und dem Piemont zeigt.
Nicht weniger berühmt wurden aber auch weitere Likörspezialitäten aus dem „Land, wo die Zitronen blühn“. Zum Beispiel der so genannte „Limoncello“ auf Basis von in Alkohol eingelegten Zitronenschalen, welcher v. a. im Süden des Landes von jeder Brennerei, die etwas auf sich hält, produziert wird. Unter ihnen findet sich beispielhaft Pallini Limoncello, welchem von Rom aus der Sprung über den Teich nach New York gelang und hier neben den populären Amari als italienischer Lebenstil schlechthin gefeiert wird. Zu den weiteren Spezialitäten gehören auch der Haselnusslikör Frangelico, der Kirschlikör Luxardo Maraschino oder die Kaffeeliköre, welche die Kunst des Espressos mit Spirituosen kombinieren – darunter so große Marken wie Tia Maria auf Basis von jamaikanischem Rum. Im destillierten Bereich schuf man zudem mit ausgewählten Traubenweinbränden wie Vecchia Romagna und allen voran mit Grappa (z. B. Luigi Francoli) ganz eigene Nationalspirituosen.
Wohlbefinden mit Anis und mehr
Nebst der aus Italien stammenden Genussvielfalt entwickelten sich im Großen auch jene der mit Anis versetzten Spirituosen entlang des gesamten Mittelmeerraums, ist die Gewürz- und Heilpflanze hier doch weit verbreitet. Um Anis versetzte Spirituosen – in der Regel aus Weintrauben – werden entweder auf Basis von echtem Anis oder aber Sternanis produziert und um Zutaten wie Süßholz, Fenchel und mehr zur Abrundung ergänzt, in klassischen Brennanlagen destilliert. In der Türkei, das sich als Ausläufer Asiens, genauer gesagt Vorderasiens eng an das Mittelmeer schmiegt, wird Raki erstmals im Jahr 1510 erwähnt – als eine aus Weintrauben oder Rosinen und Anissamen destillierte Spirituose. Ursprünglich stammt diese, so heißt es, vom arabischen Arrak aus Kleinasien ab, der seinen Weg an das Mittelmeer fand und dessen Produktion über das Ende des Osmanischen Reichs hinaus bis heute fortgeführt wird. Ab 1937 feiert er jedoch vor allem als Yeni Raki Berühmtheit, was so viel wie „neuer Raki“ meint und auf die Nachkriegszeit anspielt, in welcher die Republik Türkei entstand. Ebenso eine große Bedeutung erfuhr auch Tekirdağ Rakisi aus Tekirdağ im Westen der Türkei, das auch als „Perle der Marmara“ bekannt ist für seinen historischen und kulturellen Reichtum als auch für seinen Weinanbau.
Neben der Türkei entwickelten im Osmanischen Reich auch die Griechen eine Liebe zum Anis. So gediehen in der Wiege der westlichen Zivilisation nicht nur der Olivenbaum, der Eukalyptus und die Philosophie prächtig, sondern auch der Ouzo. Unter anderem entwickelte hier im Jahr 1894 Isidoros Arvantis auf Lesbos die Rezeptur für seinen Ouzo of Plomari. Ebenso wird seit 1890 die Marke Tsantali – die Nummer 2 in Griechenland mit dem größten Weingut des Landes – nach einem geheimen Rezept der gleichnamigen Familie bei Thessaloniki in Nordgriechenland produziert. Ganz abseits vom Ouzo sei erwähnt, dass bereits 1888 Spyros Metaxa als Nachfahre einer Familie von Seidenhändlern im Jahr seine Brennerei für seine besondere Spirituose METAXA im Hafen von Athen gründet. Von Griechenland ist es wiederum nur ein Sprung nach Italien, wo der destillierte Anis als Sambuca bezeichnet wird. Hier wurde u. a. 1868 die Brennerei Rossi D´Asiago gegründet, die über mehrere Umwege Antica Sambuca im Jahr 2004 wieder neu auflegte. 1945 gründete Angelo Molinari in der Nähe von Rom sein Unternehmen für Molinari Extra.
Schließlich entwickelte entlang des Mittelmeers auch Frankreich mit seinen berühmten Pastis bzw. Anisée seine ganz eigene Interpretation vom „Savoir Vivre“ am Mittelmeer. Aus Marseille stammen so zwei spezielle „Pastis de Marseille“, nämlich der 1789 gegründete Duval sowie der 1932 erstmals produzierte Ricard. Nicht zu vergessen und etwas eigener gebiert sich zuletzt der sogenannte Hierbas von der Baleareninsel Mallorca, ein mazerierter Anislikör – allen voran als Túnel de Mallorca bei uns bekannt.
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