Italien – Sehnsucht im Glas
Telse Prahl über Italien
Zwar säumen viele Länder das Mittelmeer, aber aus unbestimmtem Grund eignet sich Italien am besten als Sehnsuchtsland. Hier laufen alle Fäden zusammen, nach denen man sich sehnt, wenn der kalte April noch überboten wird von den Eisheiligen im Mai und der Schafskälte im Juni. Italien – das ist Sonne, Wärme, Meer, weiches Licht, gutes Essen und eine beneidenswerte Draußen-Kultur, gepaart mit einer ganz und gar nicht schwermütigen Lebenseinstellung, flankiert von
einer unnachahmlichen Aperitifkultur.
Sehnsucht wird im Italienischen mit „Nostalgia“ übersetzt, was ursprünglich aus dem Griechischen stammt und Heimweh bedeutet bzw. Rückkehr in die Heimat und Schmerz. Wie könnte man es besser umschreiben, was einen nach jedem Italienurlaub umtreibt? Man will zurück, ein schmerzliches Verlangen zieht einen in das Land hinter den Alpen, und für längere Zeit bleibt erstmal nur die Erinnerung an den letzten Aufenthalt.
All die positiven Erinnerungen und Gefühle manifestieren sich dann in den klangvollen Namen der italienischen Aperitivos wie Campari, Aperol, Martini oder Cinzano. Der Aperitif ist das Schlückchen, das Lust auf mehr macht. Abgeleitet von dem Lateinischen „aperire“ (zu Deutsch: öffnen) soll der Aperitif mit seinen Gewürzen, Kräutern und Bitterstoffen den Appetit anregen und den Magen auf die Speiseaufnahme vorbereiten. Traditionell wird der Aperitif in Italien vor dem Abendessen zwischen 17 und 19 Uhr in einer Bar oder zu Hause getrunken, dann wird geplaudert, und die Ereignisse des Tages werden seziert. Dazu gibt es verschiedene Häppchen – das können Antipasti sein, kleine Focaccia oder auch einfach ein paar Oliven, Grissini oder gesalzene Mandeln. Dieses kleine Ritual ist es, was uns Nordeuropäer so neidisch macht und was später diese Sehnsucht in uns weckt – dieser zeitlose, mühelose und vor allem unprätentiöse Genuss.
Nehmen wir beispielsweise den Dauerbrenner Aperol Spritz: In Hamburg ist das auffällig orange-rote Getränk fast schon als „szeniges Frauengetränk“ abgestempelt, das ausschließlich von gackernden Damen geordert wird. In Italien wird der Spritz so unaufgeregt wie ein Bier serviert, dazu Chips, Nüsse oder Cracker – fertig. Und dort schmeckt das fruchtig-herbe Aroma von Aperol auch wieder herrlich. Der Bitterlikör basiert auf einer Mischung aus Rhabarber, Enzian, Bitterorange und Kräutern. Die Geschichte der heute zu Campari gehörenden Marke begann vor über 90 Jahren, als die Brüder Barbieri 1919 anlässlich einer Ausstellung von Venedig nach Padua reisten, im Gepäck ihre neueste Kreation. Das berühmte Spritz-Rezept, das den Aperol so populär machte, gibt es seit den 50ern: 3 Teile Prosecco oder Weißwein, 2 Teile Aperol, 1 Spritzer Soda.
Apropos Campari: Letzten Spätsommer im Piemont kredenzte mir der Wirt einen „Bicyclette“ – Campari, Weißwein und ein Schuss Soda, dazu ein Schälchen geröstete Haselnüsse. Unerreicht nach einem anstrengenden Wandertag durch die piemontesischen Weinberge und Haselnusshaine. Und genau diese Bilder sind es, die beispielsweise aus einem Campari eine Sehnsuchtsspirituose machen. Der 1860 von Gaspare Campari in Mailand kreierte Bitterlikör ist heute einer der Klassiker der Aperitif-Kultur, weltberühmt auch in Form des Campari Soda. Und gleichzeitig Namensgeber für eines der bedeutendsten Unternehmen im Spirituosensektor, unter dessen Dach sich weitere bekannte Marken wie Cynar, Averna oder Frangelico tummeln. Letzterer wird aus den oben erwähnten Haselnüssen aus den fruchtbaren Ebenen des Piemonts hergestellt: ein Likör, der zudem mit Extrakten von Kakao, Kaffee und Vanille verschnitten wird, was die besonders markante Note der 300 Jahre alten Spirituose ausmacht.
Und wo wir gedanklich schon im Piemont sind: Turin ist nicht nur die Hauptstadt dieser Region, sondern auch die Hauptstadt des italienischen Weinaperitifs – dort entstanden die ersten Wermutweine. Bereits 1786 erstellte Antonio Benedetto Carpano ein Rezept, das Muskatellerwein mit Kräutern und Gewürzen vereint und erst vor wenigen Jahren als Antica Formula ein Comeback feierte. Zum Punt E Mes, einem Wermut aus gleichem Hause, existiert eine gern zitierte Geschichte, bei der eine Gruppe von Börsianern in der Turiner Bar von Carpano ihre eigene Wermutmischung mit den Worten „punt e mes“ bestellten, was so viel bedeutet wie „halb und halb“. Dieser Mix etablierte sich schließlich und bildete die Grundlage für einen eigenen Wermut von Carpano.
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