Liquid Diary, Innsbruck, Österreich

World Class – Antrieb oder Last?

Die Welt der Barszene ist reich an Auszeichnungen und Bestenlisten, die die Fähigkeiten und Kreativität von Barkeepern und ihren Teams feiern. Für sie bedeuten die Preise Aufmerksamkeit, Förderung und Prestige. Cocktail-Liebhabern und Fans der Barkultur dienen die jährlichen Wettbewerbe oft als Orientierungshilfe und sind Anziehungsmagnet für den nächsten Barbesuch. In unserer Mystery-Check-Serie stellen wir diese Top-Bars mit Vorbildcharakter für die Branche auf den Prüfstand – objektiv, konstruktiv und von einem neutralen Standpunkt aus. Diesmal sind wir zu Besuch im Liquid Diary in Innsbruck, Österreich.

 

Unsere erste Reise nach Österreich, im Rahmen unserer Mystery-Check-Reihe, führt uns wider Erwarten nicht nach Wien, sondern ins malerische Tirol. Sie führt uns in die Stadt des «Goldenen Dachl»: nach Innsbruck. Viele Jahrhunderte stellte die Stadt das Tor nach Italien dar. Damals war sie letzter Rastpunkt, bevor der beschwerliche Weg über den Brenner fortgesetzt wurde. Noch heute bietet Innsbruck viele Herbergen und herzliche Gastfreundschaft für erschöpfte Reisende. Im Zuge der Mobilität wurde die Stadt jedoch viel zu oft von vorbeirauschenden Autofahrern links liegen gelassen und hat ihren Ruf als Ausgangspunkt für die Alpenüberquerung verloren. Nur einmal im Jahr rückt Innsbruck in den Fokus der Sportwelt – zumindest der alpinen Skiwelt. Der Zirkus der Vierschanzentournee rollt durch die Universitätsstadt, um sogleich wieder weiterzuziehen. Wer dennoch etwas länger verweilt, erlebt eine lebendige Stadt, die sich zurecht das Herz Tirols nennt. Die Donau-Monarchie hat hier genauso ihre Spuren hinterlassen wie die Nähe zu Italien. Fast meint man zu spüren, wie beide die Innsbrucker sowohl stilistisch als auch kulinarisch verwöhnen. Diese Rahmenbedingungen sind die ideale Ausgangslage für eine der besten Bars Österreichs – das Liquid Diary.

 

Das Entree

Wir schlendern durch die Fussgängerzone; die Luft ist klar und frisch. Wir laufen am Weissen Turm vorbei, der im 14. Jahrhundert Teil der ersten Stadtumwallung war und zum Inneren Splittertor gehörte. In Zeiten der Reichsstadt zeigte er zusammen mit den drei anderen sogenannten Schlagtürmen die Zeit an. Wir schauen auf die Uhr – es ist kurz vor acht; wir haben reserviert. Wir folgen der Schlotfegergasse, gehen am Polizeipräsidium vorbei und stehen schließlich vor einer kleinen Cocktail-Bar. An der Außenwand ist ein gut sichtbares Schild mit einem großen «H» angebracht. Das 400 Jahre alte Haus ist mit einer Lichterkette angenehm beleuchtet. In der direkten Nachbarschaft schließen sich schöne Fachwerk- und Sandsteinhäuser an. Wir betreten das Herrengedeck und sind neugierig.  

 

Bewertung: 1,7


Das Barteam

Überschwänglich und zuvorkommend werden wir von Damir Bušić hereingeführt. Wir haben freie Platzwahl und nehmen auf den mit rotem Samt bezogenen Barhockern Platz. Neben dem emsigen Barbetreiber steht ein weiterer Barkeeper hinter der Bar. Im Gegensatz zu dem World-Class-Gewinner wirkt er sehr zurückhaltend. Er reicht uns zwei Barkarten und jeweils ein Glas Wasser. Während wir uns noch in der Bar umschauen und die vielen Details auf uns wirken lassen, fällt uns auch in der Interaktion mit anderen Gästen der starke Kontrast innerhalb des Bar-Teams auf: Einerseits der extrovertierte Barbetreiber, der mit seinem Namen und Auszeichnungen für die Qualität seines Betriebs und der Drinks steht. Andererseits sein sich eher passiv gebender Team-Kollege, der nicht wirklich die Kommunikation mit den Gästen sucht. So bereichernd ein heterogenes Team mit unterschiedlichen Persönlichkeiten sein kann, birgt diese Konstellation unserer Meinung nach dennoch eine Kehrseite: Eine Persönlichkeit steht im Fokus, die wenig Raum für das Team lässt und zum anderen Gäste, die den Besuch der Bar je nach Bedienung völlig unterschiedlich erleben.

 

Bewertung: 2,0

 

Das Ambiente

Mit dem Betreten der Bar versetzt uns das Interieur unmittelbar in eine längst vergangene Zeit: Wir befinden uns in einer amerikanischen Bar der Zwanzigerjahre. Das dunkle, polierte Holz des Bodens wurde harmonisch mit dem Smaragdgrün der Wand und den rubinroten Samtbezügen der Sitzgelegenheiten kombiniert. Kontrastreiche Deko-Elemente, wie ein prunkvoller, goldener Spiegel, orientalische Leuchter und Federn, fügen sich zu einem stimmigen Bild zusammen. Die auffällige Wandtapete eines paradiesischen Dschungels fängt die Farben der Einrichtung ein und ist ein Blickfang. Sitzgelegenheiten bieten sich entweder direkt an der Bar oder in einer der gemütlichen Fensternischen.

 

Bewertung: 2,0


Die Barkarte

Zusammen mit einem Glas Wasser reicht uns der Barkeeper eine einfache, laminierte Karte. Nach der ersten Enttäuschung über deren Aufmachung, erhalten wir von Damir Bušić eine Erklärung dazu: Es handelt sich dabei wohl um eine Übergangskarte, bis die Fotos der aktuellen Drinks fertig sind. Um uns einen Eindruck von der neuen Karte zu geben, holt der Barchef eilig ein altes Exemplar herbei. Es ist ein dickes, in altes Leder gebundenes Buch, passend zum Zwanziger-Jahre-Stil der Einrichtung. Es ist das «Liquid Diary», also das Tagebuch der Drinks. Jeder Cocktail ist auf einem Polaroid-Foto abgebildet. Zusätzlich erhalten die Gäste detaillierte Erklärungen zu den Drinks und deren Zutaten. Darüber hinaus können sie sich mit ihrem eigenen «Tagebucheintrag» verewigen: Wir blättern durch das prall gefüllte Buch und finden Grussworte, Lobeshymnen und kreative Zeichnungen. Wir fragen auch nach der Bedeutung des Logos auf der Vorderseite des Einbands. Bis ins Detail erklärt uns Damir Bušić die dahinterstehende Symbolik, die Schlagworte wie Handwerk, fünf Sinne und Freimaurerkunst vereint. Wir fragen uns: Wie viel Konzept, Symbolik und «Story» brauchen eine Bar und ihre Cocktails wirklich, um den Gast zu überzeugen? Wir legen das Buch zur Seite und warten gespannt auf die Hauptrolle unseres Abends im Liquid Diary: die Drinks.

 

Bewertung: 2,5


Mixed Drinks

Besonders bei den Signature Drinks handelt es sich um raffinierte Drinks mit ausgefallenen Zutaten. Auch hier erklärt uns der Barchef genau die Zusammensetzung der Cocktails und weist auf die spezielle Herkunft und Herstellung einzelner Produkte hin. Der World-Class-Sieger Österreichs weiß, wovon er spricht. Gleichzeitig fragen wir uns auch hier, ob der große Erfolg in den renommierten Wettbewerben der Branche nur Segen ist, oder ab einem gewissen Punkt die Verbindung zu Gast und Drink stört. Auf dem Parkett der World Class überzeugen die extravagantesten Kreationen mit den innovativsten Präsentationen. Um den gewonnenen Titeln gerecht zu werden, entsteht schnell Druck, das bisher Dagewesene zu übertreffen. Wir finden: Manchmal wäre weniger mehr

 

Bewertung: 2,0

 

Speisen und Snacks

Das Liquid Diary bietet keine Speisen an. Die Bar ist von Montag bis Samstag, jeweils von 18.00 bis 1.00 Uhr geöffnet.

 

Bewertung: -

 

Musik und Entertainment

Die abwechslungsreiche Playlist ist ein Mix aus den Siebzigerjahren. Die Musik schafft eine lockere Atmosphäre und begleitet den Abend stimmig.

 

Bewertung: 2,5


Service und Kommunikation

Der Barchef ist als Person sehr präsent und sucht die Kommunikation mit dem Gast, während sich sein Team im Hintergrund hält.

 

Bewertung: 2,5


Produktkenntnis und Beratung

Die Produktkenntnis des Barchefs ließ keine Fragen offen: Bereitwillig und mit grosser Leidenschaft erhielten wir Erklärungen zu den Spirituosen, Zutaten und deren besonderer Herstellung, um das gewünschte Geschmacksprofil zu erreichen.

 

Bewertung: 1,7


Barchef und Führung der Bar

Damir Bušić ist als Barchef omnipräsent. Während dies während unseres Besuchs wenig Raum für sein Team ließ, wurden wir als Gast sehr freundlich und zuvorkommend behandelt.

 

Bewertung: 2,5


Sauberkeit und Hygiene

Die Sauberkeit und Hygiene im Liquid Diary war tadellos – der Arbeitsbereich an der Bar wurde nach jeder Bestellung gereinigt; der Gastraum zeitnah aufgeräumt und gesäubert. Der Toilettenbereich war ansprechend.

 

Bewertung: 2,0


Tastings und Aktionen

Die Bar bietet über das Jahr verteilt immer wieder Gastschichten an. Zudem ist es möglich, die Bar für private Events zu mieten. Wer allerdings das Team lieber für private Drinks zu Hause mietet, dem ist die Diskretion – frei nach den drei Affen: nichts sehen, nichts hören und nichts reden – sicher. Wie Damir Bušić betont, liegt ihm die Weiterbildung anderer Barkeeper und Bars sehr am Herzen. Consulting, Masterclasses und privaten Coachings stehen interessierten Profis, aber auch Amateuren, zur Verfügung.

 

Bewertung: 2,0


Preis und Leistung

Im Vergleich zum restlichen Preisniveau Innsbrucks weist das Liquid Diary ein sehr gehobenes Preisniveau auf: Die Signature Cocktails liegen bei 16,50 Euro.

 

Bewertung: 2,5


Social Media & Networking

Der Instagram-Kanal ist gepflegt und weist in der jüngeren Vergangenheit eine einheitliche Bildsprache auf. Inhaltlich fokussiert er sich eher auf Storytelling und weniger auf Fachliches, wie etwa Rezepte oder Zutaten zum Nachmixen. Darüber hinaus wird auf der Webseite ein Blog angekündigt, der Einblick in die Welt des Damir Bušić geben soll.

 

Bewertung: 2,0

 

Fazit

Cocktails, die auf der Bühne der World Class miteinander konkurrieren, bestehen oft aus vielen überraschenden, ausgefallenen und teils unbekannten Zutaten. Hier versuchen Barkeeper sich vom Wettbewerb abzusetzen und mit Wissen und Fähigkeiten eine Jury zu überzeugen. Der Sieg ist die Bestätigung des Könnens und des eigenen Weges. Die Kunst besteht unserer Meinung nach darin, den Druck des Wettbewerbs vor der eigenen Bar abzustreifen. Der Gast hinter der Bar ist keine World-Class-Jury und mag vom ein oder anderen Geschmacksprofil des Liquid Diary überfordert sein. Es geht um keinen Titel, sondern darum Gastgeber zu sein, die Drinks und: den Gast.

 


Mystery BarCheck

Liquid Diary, Innsbruck, Österreich      
Testurteil     2,15
       
Entree     1,7
Barteam     2,0
Ambiente     2,0
Barkarte     2,5
Mixed Drinks     2
Speisen und Snacks     -
Musik und Entertainment     2,5
Service und Kommunikation     2,5
Barchef und Führung der Bar     2,5
Produktkenntnis und Beratung     1,7
Sauberkeit und Hygiene     2,0
Tastings und Aktionen     2,0
Preis und Leistung     2,5
Social Media & Networking     2,0
       

Adresse

Liquid Diary
Innsbruck, Österreich

 

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